Jan Dreyer: Ist Nachhaltigkeit mittlerweile ein bedeutender Standortfaktor und ein Marketingargument im Tourismus?
Petra Hedorfer: Die Balance aus Ökonomie, Ökologie und sozialer Verantwortung hat sich weltweit längst als Standortfaktor etabliert und gewinnt damit auch für den Tourismus immer mehr an Bedeutung. Deutschland ist in diesem Zusammenhang als Standort gut aufgestellt und hat in den vergangenen Dekaden bereits einiges erreicht: So gehört laut Anholt-Ipsos Nation Brands Index 2021 (NBI) für 60.000 Befragte aus 20 Ländern der Schutz der Umwelt und natürlicher Ressourcen zu den drängendsten globalen Aufgaben. Wir werden als eine der Nationen genannt, die im Umgang mit dem Klimawandel am besten agieren würden. Die UN-Weltklimakonferenz hat bereits 2016 mit den 17 Sustainable Development Goals (SDG) internationale Leitlinien vorgegeben, im SDG-Index 2021, der die Fortschritte bei der Erreichung der globalen Klimaziele abbildet, haben wir uns 2021 vom fünften auf den vierten Platz verbessert. Diese Standortfaktoren sind in unsere Strategie zur weltweiten Vermarktung des Reiselandes Deutschland fest eingebunden.
Das Interesse an nachhaltigem Urlaub steigt
Hat sich durch die Pandemie der Wertewandel zu mehr sozioökologischer Verantwortung im Reiseverhalten signifikant beschleunigt? Wenn ja, woran machen Sie das fest?
Petra Hedorfer: Tatsächlich spielen Achtsamkeit, Authentizität, Fürsorge und Sicherheit auf Kundenseite bei der Reiseplanung und
-gestaltung immer größere Rollen. Laut Sustainable Travel Report 2021 von booking.com sagten 61 Prozent der befragten internationalen Reisenden, dass die Pandemie sie motiviert hätte, in Zukunft nachhaltiger zu reisen. Dass diese guten Vorsätze auch umgesetzt werden, belegt unser GTM Expert Panel (Germany Travel Markt), für das die DZT 259 CEOs/Key Accounts der internationalen Reiseindustrie befragt hat. Rund die Hälfte der Entscheider sehen jetzt schon eine leichte Verschiebung der Kundenbuchungen in Richtung nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen. Für die kommenden drei Jahre erwarten drei Viertel einen Anstieg der Nachfrage in diesem Segment.
Auch die Umfragen von Inspektour für „Destination Brand 21“ bestätigen, dass sich das Interesse an nachhaltigem Urlaub in wichtigen Quellmärkten für Deutschlands Incoming-Tourismus im Vergleich zu 2018 deutlich erhöht hat.
Was verbirgt sich hinter der Drei-Säulen-Strategie der DZT für eine Positionierung Deutschlands als nachhaltige Tourismusdestination?
Petra Hedorfer: Wir haben vor mehr als zehn Jahren das Thema Nachhaltigkeit als zentrales Handlungsfeld definiert. In unmittelbarer Anbindung an den Vorstand werden Trends im internationalen Tourismus analysiert, eigene Aktivitäten der DZT initiiert und unser Auftritt unter den Aspekten Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit im Kontext der Digitalen Transformation ressortübergreifend koordiniert.
Unsere Drei-Säulen-Strategie koppelt den externen Wissenstransfer und einen begleitenden Kommunikationsansatz mit einer organisationsinternen Nachhaltigkeitsinitiative. Der Know-how-Transfer umfasst beispielsweise die Vernetzung mit internationalen Experten und Gremien sowie das Teilen von Fachwissen mit den Partnern im Deutschland-Tourismus. Zur Kommunikation gehören unsere weltweiten Kampagnen, die unterdessen alle einen besonderen Fokus auf Nachhaltigkeitsaspekte legen.
Die interne Nachhaltigkeitsinitiative bedeutet, dass wir als Organisation im Sinne von Corporate Social Responsibility sowie einer nachhaltigen Unternehmensführung agieren und in der Branche mit gutem Beispiel vorangehen.
Offene Daten verbessern den Kundenservice
Um die Standardisierung und damit die Digitalisierung im europäischen Tourismus auch länderübergreifend voranzutreiben, hat die DZT 2021 eine Organisationseinheit mit europäischem Fokus initiiert: die Open Data Tourism Alliance (ODTA). Bitte erläutern Sie, was sich dahinter verbirgt.
Petra Hedorfer: Das gemeinsame Open-Data-/Knowledge-Graph-Projekt ist der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten. Wir brauchen offene Daten, um dem steigenden Anspruch der Kunden an digitale Information und Services zu entsprechen, die Sichtbarkeit touristischer Angebote auf globalen Vertriebsplattformen zu erhöhen und KI-basierte Anwendungen zu implementieren.
Auch in der Weiterentwicklung Deutschlands als nachhaltige Destination wird uns dieses Projekt unterstützen. Beispielsweise helfen uns offene Daten bei einer intelligenten Lenkung von Besucherströmen. Das entlastet die Umwelt und schafft für die Gäste noch eindrucksvollere Erlebnisse. Kurz: Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammen ermöglichen mehr Qualitätstourismus.
Die DZT hat dieses Dateninfrastrukturprojekt 2018 initiiert und koordiniert seither das Gesamtvorhaben. Mit der Gründung der Open Data Tourism Alliance sind wir den nächsten Schritt zu einem echten paneuropäischen Projekt gegangen. Hier tauschen sich National Tourist Boards und regionale Tourismusorganisationen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien und Schweden aus, um länderübergreifend die Standardisierung semantischer Datenmodelle für touristische Informationen auf Basis des schema.org-Standards und damit die Digitalisierung im europäischen Tourismus voranzutreiben.
Das Zusammenspiel von Digitalisierung und Nachhaltigkeit
Braucht die Reisebranche noch mehr Digitalisierung, um nachhaltiger arbeiten zu können?
Petra Hedorfer: Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind auf vielfältige Weise miteinander verknüpft. Und beide Themen sind für die gesamte Customer Journey im Tourismus relevant. Das beginnt bei der Inspiration zur Reise, wo digitale Tools unverzichtbar sind, um nachhaltige Angebote auf den globalen Travel-Plattformen sichtbar zu machen. Conversational Interfaces helfen den Kunden bei der Suche nach Angeboten über Sprachassistenten und Virtual-Reality-Anwendungen können den Touristen dabei unterstützen, seine Reiseplanung zu optimieren – auch das ist ein echter Beitrag zur Nachhaltigkeit.
KI-Anwendungen sind insbesondere in der Logistik heute schon unverzichtbar, sei es bei der Routenplanung von Fluggesellschaften, beim Einsatz von Busflotten oder bei den Lieferketten für Gastronomie und Hotellerie. Digitale Unterstützung bei der Lenkung von Besucherströmen, um zum Beispiel sensible Naturgebiete zu entlasten, ist ein weiteres Feld. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Welche Trends sehen Sie im Bereich Green Travel?
Petra Hedorfer: Die Welttourismusorganisation UNWTO hat sich im Zuge der Krisenbewältigung von der reinen Wachstumsphilosophie vergangener Jahre verabschiedet und eine Build-Back-Better-Strategie entwickelt. Diese bildet auch einen Orientierungsrahmen für unsere strategische Ausrichtung.
Wir sehen einen gesellschaftlichen Wertewandel hin zu mehr Achtsamkeit, Authentizität und Sensibilität – das sind alles Komponenten, die auf das Thema Green Travel einwirken. Das kann dazu führen, dass bewusster gereist wird, dass ländliche Regionen und nachhaltige Angebote häufiger nachgefragt werden und dass kundenseitig mehr Wert auf Zertifizierungen gelegt wird.
Damit tatsächlich nachhaltiger gereist wird, müssen jedoch auch ausreichend und vor allem bezahlbare Angebote verfügbar sein. Ich sehe aber ein großes Engagement in der Branche, solche Angebote auf den Markt zu bringen. Mit unserer Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsstrategie und mit Kampagnen wie „Feel Good“ setzen wir wesentliche Impulse.
Travel-Dashboard
Interessante Zahlen und Fakten rund um die neuesten Trends und Entwicklungen im Reise-Segment bietet auch unser Travel-Dashboard.