Direct-to-Consumer: Gefahr für den stationären Handel oder Chance für die Retail-Branche?


D2C gehört zu den Mode-Abkürzungen des Jahres. Gemeint ist der direkte Verkauf von Markenartikeln an die Kunden, ohne Einbindung eines Zwischenhändlers oder Marktplatzes. So die reine Lehre. Praktisch ist das jedoch nicht so einfach, denn die großen Chancen liegen woanders. Über die Möglichkeiten, Gefahren und Vorteile von Direct-to-Consumer haben wir mit dem E-Commerce-Experten Jochen Krisch, Alessa Kästner, Redakteurin bei der Internet World, und Florian Schwenkert, COO der Online-Drogerie KoRo, gesprochen.

Einig sind sich die Experten, dass im D2C noch immer riesiges Potenzial schlummert, vor allem wenn es um eine smarte Verzahnung des Online-Direktvertriebes mit einem ausgeklügelten stationären Handelskonzept liegt. Gerade in der richtigen Nutzung der so generierten Daten stecken große Chancen. So sagt Jochen Krisch: „Marken, die das volle Potenzial ausschöpfen wollen, sind keine Grenzen gesetzt.“ 


Interview mit Florian Schwenkert, COO von KoRo

Sie verkaufen sowohl direkt über das Web als auch in Offline-Geschäften? Wo liegen die Vorteile des direkten Verkaufs über das Internet?

Der Verkauf über das Internet bietet uns und unseren Konsumenten im Wesentlichen zwei Vorteile. Zunächst bieten wir einen Großteil unserer Produkte in Großpackungen in schlichtem Design an. Dies ermöglicht es uns, Prozesse enorm zu verschlanken und so Handelsstufen zu überspringen, günstigere Preise aufgrund geringerer Logistik- und Verpackungskosten anzubieten sowie Verpackungsmüll zu reduzieren. Im stationären Einzelhandel würde dieses Konzept so nicht funktionieren, weil der Mehrwert des Produktes im Laden stark über die Verpackung kommuniziert werden muss. Außerdem sind die wenigsten Kunden bereit, Großpackungen mit mehr als 1 kg Gewicht nach Hause zu tragen. 

Des weiteren können wir nur durch den direkten Kontakt zu den Konsumentinnen und Konsumenten eine langfristige Kundenbeziehung aufbauen und uns als Marke etablieren – das passiert insbesondere durch Feedback und verschiedene integrierte Community Features auf unserer Website und Social Media. Von diesem Austausch profitieren sowohl unsere Kundinnen und Kunden als auch wir, denn die Anregungen aus unserer Community helfen, unsere Produkte langfristig immer weiter zu verbessern und neue Produktkategorien aufzubauen. 

Wie profitieren Sie dagegen auch vom Verkauf im stationären Handel? 

Für uns war der Schritt in den stationären Handel mit der Marke KoRo sehr wichtig, weil wir glauben, dass die Konsumentinnen und Konsumenten erwarten, dass sie uns sowohl offline als auch online finden und entdecken können. Dass wir Großpackungen anbieten, ist eine Herausforderung, denn die Konsumentinnen und Konsumenten müssen sich erst einmal trauen, ihr Einkaufsverhalten anzupassen und für eine größere Packung mehr Geld auszugeben. Wir versuchen diese Hürde herabzusetzen, indem wir im Einzelhandel kleinere Packungsgrößen anbieten als online. Auch unser Produktangebot ist offline anders als online – im stationären Handel verkaufen wir vor allem unsere innovativen Produkte und Eigenkreationen wie die Dattel-Haselnuss-Creme, die es so kein zweites Mal gibt. Bei diesen Produkten sind wir preislich etwas flexibler als bei den Großpackungen, die auf Masse abzielen. Ich denke, das ist eine Win-Win-Situation – sowohl für uns als auch den Handel, weil es uns gelingt, unsere große Online-Reichweite offline zu konvertieren, und sich der Handel eine junge, zahlungskräftige Zielgruppe erschließen kann. 

Wie entwickelt sich die Handelswelt? Werden immer mehr Marken selbstständig über das Web verkaufen oder geht es künftig wieder mehr darum, ein Einkaufserlebnis für alle Sinne zu kreieren?

Ein allgemeiner Trend hin zu mehr Direct-to-Consumer-Modellen ist sicherlich erkennbar, gleichzeitig drängen nun aber auch immer mehr reine D2C-Marken in den stationären Einzelhandel. Aus unserer Sicht ist für eine langfristige Markenbildung und holistische Markenerfahrung ein hybrides Modell sinnvoll. Für uns ist aktuell noch nicht absehbar, inwiefern Mono-Brands mit eingeschränktem SKU-Portfolio (="Stock-Keeping-Unit") dauerhaft als reines D2C-Modell funktionieren können, wenn wenig Möglichkeiten für die Steigerung des Warenkorb-Wertes existieren. Für uns bleibt der eigene Online-Shop weiterhin unser primärer Vertriebskanal mit einem erwarteten Umsatzanteil von 90 bis 95 Prozent.

Interview mit Alessa Kästner, Redakteurin bei Internet World

Hype oder nachhaltig? Ist Direct-to-Consumer wirklich ein Trend, der gekommen ist, um zu bleiben?

Das Hauptargument, warum D2C bleiben wird, ist sicherlich die Fülle an wertvollen First-Party-Daten, auf die Direct Brands Zugriff haben und anhand derer sich Marketing Automation-Strategien ausrichten lassen. Zudem ist der persönliche Kontakt in der heutigen digitalen Welt wichtiger denn je – das gilt auch für die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden. D2C ist als Vertriebsmodell mit Sicherheit ein sehr guter Weg, um diese Beziehung aufzubauen und langfristig aufrechtzuerhalten. Marken, die auf eine direkte und transparente Kommunikation setzen, gewinnen schneller das Vertrauen der Kunden. Aus diesen werden so echte Fans, die ihrer Lovebrand treu bleiben. Der Direktansatz an sich ist ja nicht neu, doch die Wünsche der Konsumenten haben sich geändert. Am Ende geht es um gute Kundenbindung und eine kundenorientierte Perspektive. Einige Marken haben das bereits begriffen, andere hinken hier jedoch noch hinterher. Wenn Unternehmen D2C effektiv nutzen, es weiter ausbauen und dabei den Kundenfokus nicht verlieren, wird es auch langfristig ein lukratives Geschäftsmodell bleiben. Meiner Meinung nach werden jedoch vor allem die Unternehmen erfolgreich sein, die breit aufgestellt sind und einen Omnichannel-Ansatz fahren, der es erlaubt, schnell auf Veränderungen am Markt zu reagieren. 

Für wen lohnt sich Direct-to-Consumer?

Pauschal kann man das nicht sagen. Es lohnt sich aber sicherlich für alle, die auf teure Zwischenhändler verzichten wollen. Ohne Zwischenhändler sind die Gewinnmargen natürlich demensprechend höher. Unternehmen, die lange Zeit ausschließlich auf den Händlervertrieb gesetzt haben, müssen dagegen umdenken und viele etablierte Geschäftsprozesse umstrukturieren. Doch auch diese Herausforderung kann sich lohnen, wenn man die Vorteile des D2C-Vertriebsmodells sieht: Die volle Kontrolle über Produktpräsentation, Pricing und Kundenansprache sowie Daten aus erster Hand. Zudem lohnt es sich für diejenigen, die sich auf wenige Produkte oder ein Kernprodukt fokussieren. 

Ist D2C auch eine Chance für Unternehmen, mit Hilfe besserer Daten mehr über die Kunden zu erfahren?

Absolut. Die Kundendaten befinden sich schließlich einzig und allein in den Händen der D2C-Brand. Die Erhebung und Nutzung dieser Daten ist somit sicherlich ein maßgeblicher Erfolgsfaktor.

Was können die Marken über ihre Kunden so lernen?

Sie bekommen einen Einblick in die komplette Customer Journey. Unternehmen können beispielsweise Daten über Altersstruktur, Wohnort, Geschlecht oder das Kaufverhalten generieren und haben so die Möglichkeit, darüber die Vorlieben und Bedürfnisse ihrer Kunden verstehen zu lernen. Dieses Wissen können sie dann gezielt für die Verbesserung der Customer Experience nutzen, Produkte optimieren, ganz neue Produktlinien kreieren oder verstärkt auf Personalisierung setzen.  

Wer könnte unter der Zunahme der Direktverkäufe leiden bzw. was ließe sich dagegen tun?

D2C konkurriert scheinbar erstmal mit dem klassischen Handel. Denn wenn eine Marke in den Direktvertrieb einsteigt, kann das zudem zur Folge haben, dass Geschäftsbeziehungen zu Retailern beendet werden. Der Vertrieb findet bei den meisten anfangs über einen Online-Shop, Marktplätze oder Social Commerce statt und wird zum Teil durch eigene Retail Stores ergänzt. Einige Direct Brands haben auch die Vorteile des klassischen Einzelhandels für sich entdeckt und setzen auf beide Vertriebswege. Hier stellt sich also die Frage: Gibt es eine Möglichkeit einer Koexistenz, von der beide Seiten profitieren? Denkbar wäre zum Beispiel, dass Hersteller von ihrem Online-Shop auf Händler hinweisen, falls diese bestimmte Artikel nicht im Sortiment haben. 

Warum profitieren die Konsumenten?

Eine Studie des Beratungsunternehmens KPMG im Zuge des Consumer Barometers 2021 hat beispielweise ergeben, dass sich fast 60 Prozent der Kunden beim Hersteller besser aufgehoben fühlen als bei einem Händler. Als Vorteile des Direktkaufs wurden zum einen die Gewissheit genannt, keine Produktfälschung zu kaufen, zum anderen die bessere Beratungs- und Servicequalität. Weiterhin profitieren Kunden von teilweise günstigeren Preisen, individualisierten Produkten und individueller Ansprache sowie der engeren Bindung an die Marke.

Interview mit Jochen Krisch, Herausgeber von Exciting Commerce

Hype oder nachhaltig? Ist Direct-to-Consumer wirklich ein Trend, der gekommen ist, um zu bleiben?

Online bieten sich Marken und Herstellern viel mehr Möglichkeiten, ihre Angebote direkt zu vertreiben und über die unterschiedlichsten Plattformen selber zu promoten. Insofern ist und bleibt der Direktvertrieb ein wachsendes Segment im Online-Handel.

Für wen lohnt sich Direct-to-Consumer?

Für alle, die zugkräftige Marken haben und ein Sortiment, das breit und attraktiv ist und preislich in einer Region, die ein profitables Online-Geschäft erlaubt. Vor allem höherpreisige und beratungsintensive Produkte dürften profitieren. 

Ist D2C auch eine Chance für Unternehmen, mit Hilfe bessere Daten mehr über die Kunden zu erfahren?

Es ist vor allem eine Möglichkeit, überhaupt etwas über ihre Kunden zu erfahren. Gerade "Digital Native Brands" zeigen, was möglich ist, wenn man auf Basis der generierten Daten die Marke aufbauen und vorantreiben kann. 

Was können die Marken über ihre Kunden so lernen?

So ziemlich alles: Wer kauft was wann? Wo liegen die Vorlieben? Was fehlt den Kunden? Marken, die das volle Potenzial ausschöpfen wollen, sind keine Grenzen gesetzt. 

Wer könnte unter der Zunahme der Direktverkäufe leiden bzw. was ließe sich dagegen tun?

Leiden werden die, die nicht auf die Kundenbedürfnisse eingehen können oder wollen, also z.B. Händler, die nur über den Preis verkaufen. 

Warum profitieren die Konsumenten?

Zum einen, weil D2C-Brands ihre Produkte (ohne Zwischenhändler, etc.) günstiger anbieten können.  Zum anderen, weil diejenigen die Produkte verkaufen und anbieten, die sie auch entwickelt haben, und so für das optimale Markenerlebnis sorgen können.

Weitere Sichtweisen zu D2C

Im Rahmen einer dmexco Masterclass diskutiert Corinna Hohenleitner mit Max Melching, Vice President Online Marketing, Data Intelligence & Marketplace bei Douglas, sowie Matthias Weth, CEO von Syzygy Performance über die Frage, wie Commerce Media die Rolle des Handels verändert. Dabei kommen sie auch auf D2C zu sprechen.