„Die Geschäftsmodelle der Zukunft setzen sich mit Energie und Nachhaltigkeit auseinander“


Das Konzept des “Commerce everywhere” setzt sich über die traditionellen Grenzen hinweg, indem es Marketing, Commerce, Media und vieles mehr neu und zusammenhängend denkt. Unsere heutige Welt ist komplexer und technischer als früher. Was bedeutet das nun für neue und die althergebrachten Geschäftsmodelle? Wir wollten wissen: Wie sehen neue Geschäftsmodelle im “Commerce everywhere” aus und was müssen frische Ideen und Businesspläne haben, damit sie wirklich funktionieren? 


Dazu haben wir Nadine Schimroszik, Reporterin Technologie & Start-ups beim Handelsblatt, Deniz Mathieu, Managing Director der Mediaagentur Pilot, und Bassel Soukar, Head of Retail von Wolt, befragt. 

Deniz Mathieu betrachtet die Frage aus einer Marketing- und Media-Perspektive. Sie sagt: „Es ist absehbar, dass in naher Zukunft jeder Werbetreibende ebenfalls eine Adtech-Strategie braucht. Viele FMCGler investieren in eigene DTC-Maßnahmen und verstärken sich für die strategische Generierung von First Party Data.“ Nadine Schimroszik sagt: „Die Geschäftsmodelle der Zukunft setzen sich mit Energie und Nachhaltigkeit auseinander.“




Nadine Schimroszik, Reporterin Technologie & Start-ups beim Handelsblatt

Was, glauben Sie, macht ein gutes neues Geschäftsmodell aus?

Dem Geschäftsmodell sollte ein Produkt oder eine Dienstleistung zugrunde liegen, welches beziehungsweise welche eine gewisse Relevanz hat, indem es beziehungsweise sie das Leben erleichtert, Probleme löst oder eine andere Form von Mehrwert bietet. Es braucht auch eine gewisse Vision, um schwierige Zeiten zu überstehen.

Gibt es so etwas wie ein Geschäftsmodell der Stunde? 

Das sind sicherlich Geschäftsmodelle, die sich mit Energiethemen oder Nachhaltigkeit auseinandersetzen. 

Was muss ein Geschäftsmodell haben, um langfristig erfolgreich zu sein?

Auch da spielt Relevanz eine Rolle. Ist diese gegeben, müsste die Nachfrage stimmen. Wenn es dann einen nachvollziehbaren Weg zur Profitabilität gibt, dürften schon mal die Grundpfeiler für einen Geschäftserfolg stehen. Wer es dann noch schafft, externe Faktoren einzuweben und Inflation, Nachfragehochs und -tiefs oder Zinswende zu bewältigen, der könnte weit kommen. Aber dafür muss eben einiges zusammenkommen: kompetente Führung, gute Talente, passende Finanzierungsstruktur und eben die Nachfrage.



Bassel Soukar, Head of Retail von Wolt


Aus einer Marketingperspektive: Was sind die Werbe-Geschäftsmodelle der Stunde? Welche funktionieren gut, welche weniger gut (Nischeninventare, Retail Media, neue Audiences)?

Das Thema der Stunde in diesem Bereich ist Retail Media. Innerhalb weniger Jahre ist in diesem Bereich ein riesiger Markt entstanden, der höchst dynamisch weiter wächst. Wenn wir den Forecasts der großen Analyse- und Beraterfirmen Glauben schenken können, werden wir in wenigen Jahren von einem Multi Milliarden Dollar-Segment reden. Es ist aber auch ein klasse Konzept. Für beide Seiten. Kunden erhalten zu ihren aktuellen Bedürfnissen passende Ads, während die Marken und Plattformen wertvolle Insights über das Kauf- und Informationsverhalten erlangen können – und das plattformübergreifend. Wir bei Wolt bauen derzeit unsere Plattform selbst weiter aus.

Im Start-up-Bereich: Was sind hier die angesagten Geschäftsmodelle?

Wichtig bei der Antwort auf diese Frage ist, erst einmal festzuhalten: Don’t believe the Hype. Vor allem: Don’t believe the App-Hype. Die meisten Kunden sind es längst müde, immer neue Apps für alles Mögliche herunterzuladen. Die Zukunft liegt in Apps, die viele Dienstleistungen zusammenführen. Deutschland ist in diesem Bereich noch fünf bis zehn Jahre hintendran. Aber Angebote wie WeChat weisen uns den Weg in die Zukunft. Hier können wir sehen, wo sich der Trend hinbewegt: eine App, um Essen zu bestellen, Online-Banking zu machen und ein Taxi zu bestellen.

Wie wichtig ist Nachhaltigkeit für den Geschäftserfolg im kommenden Jahr?

Nachhaltigkeit ist schon lange kein Nebenschauplatz mehr. Für Unternehmen heißt das, dass bei Fragen zu Sustainability Lippenbekenntnisse nicht mehr ausreichen. Ich bin davon überzeugt, dass wir ökonomische, ethische und ökologische Standards vereinen können, um im Deutschland des Jahres 2060 noch immer gut leben zu können.

Ich finde es auch richtig, dass sich immer mehr Unternehmen vom Shareholder Value verabschieden. Nachhaltiges Investieren ist keine exotische Spielart mit unklarem Ausgang mehr. Die Kunden wollen kein grünes Feigenblatt mehr sehen − sondern Unternehmen, die sich für eine lebenswerte Zukunft auch proaktiv einsetzen. Gut so!


Deniz Mathieu, Mitglied der Geschäftsführung von Pilot

Was, glauben Sie, macht ein gutes neues Geschäftsmodell aus?

Ein gutes und damit auch langfristig erfolgreiches Modell ist in der Lage, nicht nur die akuten, sondern auch die zukünftigen Bedürfnisse des Marktes gut vorwegzunehmen. 

Aus einer Marketingperspektive: Was sind die Werbe-Geschäftsmodelle der Stunde? Welche funktionieren gut, welche weniger gut?

In die Rubrik „gut“ fallen all jene Anbieter von Flächen-, Steuerungs- oder Messdaten, die uns in Sachen nachweisliche Wirksamkeit des Werbeinvests voranbringen. Aktuell als „schlecht“ wahrgenommene Geschäftsmodelle hingegen setzen auf langfristige Investitionen, die sich in ihrer Relevanz erst spät beweisen. Solche unflexiblen Angebote werden gerade den dynamischen Gegebenheiten des Marktes nicht gerecht.

Aus Werbe- und Markensicht: Für welche Geschäftsmodelle lohnt welche Adtech-Strategie und wie muss sie aussehen (Nischeninventare, Retail Media, neue Audiences)?

Es ist absehbar, dass in naher Zukunft jeder Werbetreibende ebenfalls eine Adtech-Strategie braucht. Viele FMCGler investieren in eigene DTC-Maßnahmen und verstärken sich für die strategische Generierung von First Party Data. Dabei geht es nicht unbedingt darum, die Adtech-Strategie inhouse abzuwickeln, sondern mit der Agentur zusammen Lösungen aufzubauen, die den individuellen Zielsetzungen gerecht werden. Oberstes Ziel sollte es sein, Komplexität zu reduzieren. Grundsätzlich zu bevorzugen sind transparente und offene Technologien, die es zum einen ermöglichen, viele diverse Inventare anzuschließen, und die sich zum anderen gut mit weiteren Technologien vernetzen lassen, um das Kommunikations-Datenpuzzle weitgehend zusammensetzen zu können. Retail Media wird zu den erklärten Wachstumstreibern im Markt zählen und auch regionale Inventare werden relevanter. Insbesondere eine Datensteuerung, die On- und Offline bis in lokale Traffic-Daten im POS hinein verzahnt, ermöglicht eine umfassendere Verbindung von Branding und Sales-Aktivierung/Performance.

Wie wichtig ist Nachhaltigkeit für den Geschäftserfolg im kommenden Jahr? Müssen erfolgreiche Kampagnen bald auch ein nachhaltiges Narrativ bedienen oder ein wie auch immer geartetes nachhaltiges Versprechen beinhalten?

Vorsicht bei der Wortwahl „Narrativ bedienen“. Es darf auf keinen Fall nur ein Narrativ bedient werden, es muss von den Unternehmen gelebt werden und damit glaubhaft sein. Greenwashing ist hierbei absolut verboten und wird von Konsumentinnen und Konsumenten entsprechend negativ quittiert. Dabei ist es gar nicht zwingend notwendig, als Unternehmen schon zu 100 Prozent nachhaltig zu agieren. Man kann beispielsweise auch darlegen, dass und wie man sich auf den Weg macht und welche Stufe man als Unternehmen bereits in Sachen Nachhaltigkeit erreicht hat. Wichtig ist, dass man diese Erfolge nachweisen kann, denn nur dann wird die Kommunikation ihren Teil zum Geschäftserfolg beitragen. 

Corporate Social Responsibility Report

Passend zum Thema Nachhaltigkeit haben wir uns in unserem Corporate Social Responsibility Report mit der sozialen Verantwortung von Unternehmen auseinandergesetzt. Wenn euch das Thema näher interessiert, findet ihr den Report hier.